Schuld

Montagmorgen acht Uhr sieben. K saß an einem der runden Starbuckstische vor einer Tasse schwarzen Kaffees, dessen Säure ihm bereits nach dem zweiten Schluck fiesestes Sodbrennen zu bescheren versprach und starrte Löcher in die Wand. Auf dem Tisch befand sich nichts weiter als besagte Tasse Kaffee, eine Schachtel Kippen samt Feuerzeug sowie sein iphone dessen Display total im Arsch war, nachdem er es neulich beim Warten auf die S-Bahn hatte fallen lassen. Aus den mitgelieferten Billigkopfhörern tönte gerade das Anfangsriff von Seek and Destroy, als K aus seiner Trance erwachte und einen weiteren Schluck Kaffee nahm. Dabei musste er unvermittelt an eine Episode aus seiner Schulzeit denken, was irgendwie komisch war, da er dachte alle Erinnerungen an selbige erfolgreich verdrängt zu haben. Es musste etwa um die achte Klasse herum gewesen sein als sie einmal eine Tropfsteinhöhle, Müllverbrennungsanlage oder wahlweise auch einen Staudamm, weiß der Geier, besichtigt hatten. Jedenfalls war keine Schule und es war K auf der Busfahrt vor allen anderen gelungen, dem Fahrer seine Musikkassette zuzustecken. Man schrieb übrigens das Jahr 1993 und Deutschland wurde von einer tsunamiartigen Welle des Dancefloors à la 2 Unlimited, Culture Beat und Haddaway überschwemmt. Auf der Musikkassette befand sich Metallicas Black Album, die der Busfahrer, allem Gezeter der pickelgesichtigen Bagage zum Trotz, bis zum Ende durchlaufen ließ. Jetzt, wo er so darüber nachdachte, war diese Erinnerung eine von wenigen guten, die K an seine Schulzeit hatte. Die sechs Jahre zwischen dem Verlassen der Grundschule und dem Besuch der gymnasialen Oberstufe waren die absolute Hölle, und er hatte seine Eltern jeden Tag aufs Neue dafür verflucht, dass sie ihn auf diese Schule geschickt hatten. Nicht einmal ein zeitlicher Abstand von gut zwanzig Jahren konnte ihn dazu bringen diese Zeit in einem positiveren Licht zu sehen. Dennoch war K rückblickend der Meinung, dass es zu einem Großteil diese Zeit war, die ihn auf das Leben vorbereitet und ihn auf den Weg, auf dem er sich gegenwärtig befand, geführt hatte. Sie hatte ihm genau gezeigt, wie er niemals sein, was er niemals werden wollte.

Er zog die Kopfhörer aus den Ohren, stand auf, wobei er mit der Hüfte an den ohnehin recht wackeligen Tisch stieß, so dass sein Kaffee überschwappte, nahm, ein leises „Scheiße“ murmelnd, Kippen und Feuerzeug und ging vor die Tür, um eine zu rauchen. Nachdem er sich eine angesteckt und einige Male gezogen hatte wurde ihm übel. Das im Jargon Nuttenfrühstück genannte Menü bestehend aus Kaffee und Zigarette bekam ihm heute, nach einer harten Nacht, schlecht. Außerdem war es draußen arschkalt, so dass er die erst halb aufgerauchte Kippe gleich wieder zu Boden schnippte, mit dem Fuß austrat und zurück an seinen Tisch ging. Nichts desto weniger hatten die wenigen Züge ausgereicht, ihm einen leichten Schwindel zu bescheren. Aus den Lautsprechern der Filiale in der Wilmersdorfer Straße tönte zum gefühlten hundertsten Mal das in jedem Starbucksstore der Welt in Endlosschleife zu laufen scheinende „Rudolph the Red Nosed Reindeer“. K hasste diesen Song, und jedem Menschen, den er darauf ansprach, ging es genauso. Warum wurde er dennoch jedes Jahr zwei Monate lang mit Whams „Last Christmas“ und Mariah Careys mindestens ebenso abscheulichem Machwerk dessen Titel ihm jetzt ums Verrecken nicht einfallen wollte in Endlosschleife gespielt? Wayne dachte er sich und verließ erneut die Filiale, die kein eigenes Klo hatte, weshalb man ständig in die Wilmersdorfer Arcaden gehen musste, um seine menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Genau in dem Moment als er los wollte vibrierte sein Telefon. Wer zur Hölle rief ihn um viertel nach acht an? Hektisch popelte er sich die Kopfhörer in die Ohren – er hasste die Fettflecken, die auf dem Display zurückblieben, wenn man mit dem Telefon am Ohr telefonierte – und nahm den Anruf von „unbekannt“ an. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine weibliche Stimme, die er nicht richtig einzuordnen wusste, die er aber schon einmal gehört zu haben glaubte, mit einem schlichten „Hallo“. Die darauffolgende Stille war in etwa so angenehm wie die letzte Minute vor Beginn einer viel zu lang hinausgezögerten Wurzelbehandlung. Auch, wenn ihm noch immer nicht klar war, wen er da eigentlich am Apparat hatte, stiegen in ihm Erinnerungen an tränenreich durchstrittene Nächte, an die Wand geworfene Telefonhörer und an ebenjene klopfende Nachbarn auf. K war nicht der Typ, der über Beziehungsprobleme sprach. Sobald sich der anfängliche rosa Nebel zu lichten begann und sich erste Ermüdungserscheinungen einstellten, zog er sich stets in sich selbst zurück und schloss, man mag das Pathos entschuldigen, sein Herz ab. Er hatte sich mit den Jahren – in wenigen Tagen würde er seinen 28. Geburtstag feiern – einen Raum geschaffen, zu dem nur er allein Zugang hatte und in dem er keine Eindringlinge duldete. Immer wenn er versuchte sich diesen Raum bildlich vorzustellen, musste er jedoch unweigerlich an die Szene aus dem Film Fight Club denken, in der Tyler Durden in einer Höhle seinem Power Animal, einem Pinguin, begegnete, der ihn mit dem Wort „Slide“ begrüßte, um dann auf dem Bauch davon zu rutschen.

In einen solchen Raum zog er sich immer dann zurück, wenn ihm alles zu viel wurde, wenn ihm Menschen zu nahe kamen, und so war er in den zahlreichen Beziehungen, die er in den letzten Jahren geführt hatte, dem Glück, das er so verzweifelt suchte, kein Stückchen näher gekommen. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass K nicht zu der Sorte Typ gehörte, der Schluss machte bzw. machen konnte. Wenn mal wieder aus einer Beziehung die Luft raus war, dann zog er sich einfach immer weiter zurück und verbrachte lieber die Zeit mit seinem Power Animal anstatt mit Anne, Katrin oder Merle. Das hatte logischerweise über kurz oder lang zur Folge, dass Frau mit ihm Schluss machte. In jeder Hinsicht der Königsweg, wenn es darum ging, Beziehungen zu beenden: einfach langsam und ruhig auslaufen lassen. Das klappte immer.

Noch immer hatte die Stimme am anderen Ende der Leitung nichts weiter als „Hallo“ gesagt, und als K gerade im Begriff aufzulegen war, weil er keinen Nerv auf Ratespielchen hatte, fragte die Stimme „Erinnerst Du Dich noch an mich?“. Was sollte nun der Scheiß? War das ne Quizshow? „Vielleicht. Hast Du auch einen Namen?“. „Du bist echt das Letzte! M. Schonmal gehört?“. Und nun wurde dieses Gefühl, das ihn beschlichen hatte, als er das „Hallo“ aus dem Hörer vernommen hatte zu etwas Festem. Etwas mit Substanz. Etwas materialisierte sich, wurde greifbar. Na klar, M! Sein Trauma, seine Nemesis. Wie lange war das jetzt her? Zwei Jahre? Drei Jahre? Noch länger?

Die Geschichte mit M damals hatte K gelehrt, dass er nicht der nette Junge war, für den er sich bis dahin immer gehalten hatte. Erinnerte ihn daran, dass auch er sich letztlich immer selbst der nächste war. Grundsätzlich kümmerte es ihn einen Scheiß, was andere Leute von ihm hielten. Es ging ihm immer nur darum, seinen eigenen Ansprüchen an sich selbst gerecht zu werden. Und dennoch, die Geschichte mit M hatte etwas in ihm verändert. Hatte ihm gezeigt, was es hieß, Schuld auf sich zu laden. Schuld, in verschiedenerlei Hinsicht. Diese Schuld war zu seinem ständigen Begleiter geworden. Sie war immer da, rief sich zu den merkwürdigsten Augenblicken ins Gedächtnis und war manchmal gar nicht mehr mit ihrer Ursache selbst verbunden, sondern existierte vielmehr um ihrer selbst willen. Um ihn daran zu erinnern, dass es ihm jetzt zwar gut gehen mochte, dass dieses Glück jedoch auf dem Humus des Unglücks anderer gewachsen war. Seither hatte er nicht mehr dieselbe Beziehung zu sich selbst wie er sie früher einmal gehabt hatte. Er hatte keine weiße Weste, war kein Saubermann mehr, nicht mehr der Traumschwiegersohn für den ihn viele Leute hielten. Doch das alles spielte sich nur in seinem Inneren ab, so dass niemand ahnte, was in ihm vorging. Jedem, dem er die Geschichte mit M damals anvertraut hatte sagte nur, „Und, sowas passiert im Leben“. Jeden Tag. Tausende Male. Doch für ihn war es etwas anderes. Es hatte gegen seine Ethik verstoßen niemals eines anderen Menschen Gefühle auf diese Art und Weise zu verletzen. Und es hatte stark an seinem Selbstbild als Mensch gerüttelt. Hierbei ging es letzten Endes vielleicht gar nicht darum, dass ihn die Schuld gegenüber der Person, die er als sein Opfer empfand, beschwerte. Vielmehr war es eine Art grotesken Mitleids, das er für sich selbst empfand. Er sah die Sache so: Er war kein schlechter Mensch, aber er hatte etwas getan, das sowohl subjektiv als auch objektiv betrachtet schlecht war. Zu diesem Ergebnis kam er, weil nur er allein in der Lage war, in sich selbst hineinzuschauen. Für andere Menschen mochte die einfache Gleichung à la Forrest Gump gelten: Schlecht ist der, der Schlechtes tut, doch so einfach war es deshalb für ihn noch lange nicht. War es niemals. Zwar war er sich der Falschheit seines Verhaltens in jedem Augenblick bewusst gewesen, doch hatte er damals keine andere Möglichkeit, sich zu Verhalten, gesehen.

Er hatte M kennengelernt, als es mit seiner Dauerfreundin S gerade mal wieder absolut nicht lief. Wobei das relativ milde ausgedrückt war. Ihre Beziehung war nach gut fünf Jahren am Ende auch wenn das zu diesem Zeitpunkt noch keiner von beiden wahrhaben wollte. Oder doch? Egal. Gewusst hatten es beide jedenfalls schon seit geraumer Zeit. Dessen war K sich sicher. Dann ergab sich für ihn die Möglichkeit für ein Semester im Ausland zu studieren. Der Aufenthalt dort würde ihm später bei der Arbeitssuche zum Vorteil gereichen und er hatte die Chance über allerlei Zeugs nachzudenken. Sich über einiges klar zu werden und ggf. nach seiner Rückkehr einen neuen Start mit S versuchen können. Doch alles kam ganz anders. Er lernte die fünf Jahre jüngere M bei einem Sprachkurs an der Uni kennen. Sie war aus irgendeinem Grund gleich am Ende der ersten Stunde auf ihn zugekommen und hatte ein Gespräch begonnen. Eine Weile später hatte sie ihn dann zu einem Architekturspaziergang, den einer ihrer Professoren anbot, eingeladen. Irgendwie war er dabei dem falschen Eindruck aufgesessen, dass sie nicht nur ihn, sondern auch alle umstehenden Kursteilnehmerinnen dazu eingeladen hatte und war entsprechend überrascht als lediglich sie am vereinbarten Treffpunkt auf ihn wartete. Wie er später herausfinden sollte hatte sie einzig ihn gefragt, und sie hatten entsprechend so etwas wie ein Date. Die Architekturführung stellte sich als der letzte Scheiß heraus, und als sie endlich ihr Ende gefunden hatte, waren sie froh Land zu gewinnen und irgendwo einen Happen essen zu gehen. Aus diesem ersten Treffen zu zweit entwickelte sich dann eine Beziehung, die sich schlecht mit Worten beschreiben lässt. Man traf sich, er stets mit schlechtem Gewissen S gegenüber, sprach endlos lang miteinander, verpasste die letzte Bahn nach Hause und verbrachte die Nacht gemeinsam in einem 24 Stunden Restaurant. Quatschend. Das wars. Und auch wenn K damals alles tat, um es sich selbst nicht eingestehen zu müssen, so kam er letztlich doch nicht umhin zuzugeben, dass er sich äußerst schmerzlich verliebt hatte. Doch, und damit hielt er sich und sein schlechtes Gewissen über Wasser, es war nie etwas passiert. M und er sprachen einfach miteinander, sie hakte sich auf dem Nachhauseweg bei ihm unter und beide waren mit der Situation, so wie sie war, zufrieden. Einmal sagte sie ihm, dass er für sie wie ein großer Bruder sei, bei dem sie sich sicher und geborgen fühlte. Sich vor nichts fürchtete. Doch dann, einige Wochen später führte eines zum anderen und K’s Leben drehte sich um 180 Grad. Er und S hatten sich einmal wieder am Telefon gestritten und dieses Mal derart heftig, dass es ihm einfach zu viel wurde und er die Beziehung beendete. Wie und auf welche unschöne Art und Weise dies geschah bietet genug Stoff für eine eigene Geschichte und soll daher an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Hatte die Beziehung zu S bisher immer irgendwie auch den Hauch des Verbotenen gehabt, wie gesagt, man verbrachte die Nächte quatschend in Bars, aß und betrank sich gemeinsam und fühlte sich, wie sich nur ein frisch verliebtes Pärchen fühlte, mit dem einzigen Unterschied, dass man kein Pärchen war, so stand dem nächsten Schritt nun nichts mehr im Wege. Dementsprechend ging danach alles ganz schnell. Am nächsten Tag waren K und M bereits ein Paar und taten von nun an das, was sie bisher auch schon getan hatten, nun jedoch offiziell. Und natürlich gesellte sich nun ebenfalls eine körperlich-sexuelle Dimension zu ihrer Beziehung hinzu. Es war eine wahrhaft schöne Zeit, wie im Traum, und beide hatten das Gefühl, sie würde nie zu Ende gehen, doch im Hintergrund tickte fortwährend die Uhr, näherte sich der Tag, an dem er nach Deutschland zurückkehren und S die Stirn bieten würde. Doch zunächst gab es für ihn nichts weiter als dieses rosarote Gefühl, schwülstige Liebesschwüre und die Erkenntnis, wie sehr er das alles vermisst hatte. Die Jagd. Zwar war er nun mehr oder weniger mit M zusammen, doch hatte ihm die Trennung von seiner langjährigen Freundin ebenfalls bewusst gemacht, wie groß der Kick war, eine vollkommen fremde Frau anzusprechen. Wie sehr er das Risiko genossen hatte, nicht zu wissen, ob er abgewiesen oder mit offenen Armen empfangen würde. Lang vorbei waren die Tage seiner Jugend, in denen er die Zähne nicht auseinanderbekommen hatte und stundenlang mit seinen Freunden in der Ecke irgendeines Clubs gestanden und darauf gewartet hatte, dass ihn endlich seine Traumfrau ansprechen würde. Er hatte verstanden, dass man etwas, das man wollte, nur bekam, wenn man selbst die Initiative ergriff. Seither konnte sich seine Erfolgsbilanz durchaus sehen lassen, wenn er auch alles andere als ein typischer Frauenschwarm war. Doch langer Rede kurzer Sinn. Was passierte nun, als die Zeit des Abschieds gekommen war? Was würde ein absolut charakterschwacher Mensch, der drei Monate wie ein frisch verliebter Mitzwanziger, der er ja auch war, ohne auch nur einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden tun, sobald er zurück nach Hause, in seine gewohnte Umgebung mit seinen alten Freunden, alten Problemen etc. kam?

Es dauerte nicht einmal zwei Tage, da traf er sich mit M und nachdem viel geredet und noch mehr geheult worden war, kam man zu dem Entschluss, dass man es noch einmal miteinander versuchen wollte. Der Abschied von S war die Hölle, denn würde K sagen, er wäre von heute auf morgen nicht mehr bis über beide Ohren in sie verliebt gewesen, er würde lügen. Doch dem Abenteuer zog er die Sicherheit, statt dem Neuen, die Gewohnheit vor. Kurz, er wählte den für ihn einfachsten Weg. Dabei war es gar nicht so, dass er nicht allein sein konnte oder gar Angst davor hatte. Er konnte sehr gut allein sein, hatte einigermaßen viele lustige Bekannte, die ihn von was auch immer ablenken konnten und genügend Hobbies, um sich die Zeit angenehm vertreiben zu können. Das konsequenteste und im Nachhinein einzig richtige wäre aus K’s heutiger Sicht gewesen, sich einfach von beiden zu trennen und erst einmal eine Weile in sich zu horchen, um zu erkennen, was in seinem Leben nicht stimmte, was er eigentlich wollte. Stattdessen stürzte er ein neunzehnjähriges Mädchen ins Unglück. Das mag vielleicht dramatisch klingen, doch niemals wird er vergessen können, wie hilflos S am Telefon weinte als er ihr von seinem Entschluss erzählte. Natürlich sind Trennungen in der Regel tränenreich, das wusste er, denn oft genug war er verlassen worden. Doch zu wissen, dass es allein seinem Egoismus geschuldet war, dass er nun diesem Mädchen, für das er doch zunächst wie ein großer Bruder gewesen war, das Herz gebrochen hatte, das war zu viel für ihn. Und plötzlich war nicht mehr er der Täter, sondern das Opfer. Er igelte sich zu Hause ein und tat sich unglaublich leid, weil er etwas Schlechtes getan hatte. Dabei dachte er nicht eine Sekunde daran, wie sich M eigentlich fühlen musste, nachdem sie drei Monate mehr oder weniger „betrogen“ worden war. Seine Gedanken kreisten einzig und allein um S. An ihr bitterliches Weinen und Flehen kann er sich selbst heute noch erinnern. Und auch das Gefühl der Schuld, trägt er noch immer mit sich herum. Das alles mag absurd vor dem Hintergrund erscheinen, dass S mittlerweile tausend weitere Male verlassen worden sein konnte bzw. ebenso oft andere Männer verlassen hatte und jetzt vielleicht glücklich verheiratet war. Doch darum ging es ihm gar nicht. Es ging ihm vielmehr um das Gefühl der Schuld, das schwer auf ihm lastete, wobei er sich gleichzeitig einzureden versuchte, dass dies alles totaler Quatsch sei, da es Ewigkeiten zurücklag und er bei weitem nicht toll genug war, als dass man lange um ihn trauern müsste, um über einen Korb hinwegzukommen. Doch woran lag es, dass er dieses Gefühl einfach nicht abstreifen konnte? Und wie hätte er sich anders verhalten können als seinem Herzen zu folgen? Was für ein schmalziger Satz, aber die Frage bleibt dieselbe. Was soll man tun, wenn man selbst nicht weiß, was man will bzw. heute denkt A sei richtig, um am nächsten Tag zu dem Schluss zu kommen, dass ganz im Gegenteil B richtig gewesen wäre? Kann man sich einfach aus der Affäre ziehen, indem man sagt Irren sei menschlich? Wie weit kam man mit dieser Ethik? Ließe sich damit nicht nahezu alles rechtfertigen?

Nun war sie jedenfalls am Telefon, und er verspürte plötzlich den übermächtigen Drang sie wieder zu sehen. Sich bei Ihr zu entschuldigen, Ihr zu sagen, wie dumm er damals gewesen war, wie egoistisch er gehandelt hatte. Er wollte diese Schuld, die er nun schon so lange mit sich herumschleppte ein für alle mal loswerden, sie um Vergebung bitten. Und dabei kannte er noch nicht einmal den Grund ihres Anrufs. Und sollte ihn auch niemals erfahren, denn ehe er auch nur ein einziges Wort hervorbrachte hatte sie bereits wieder aufgelegt.

Happy Birthday

Viele Menschen suchen und finden die Schuld für ihr verkapptes Leben bei anderen. Oft bei ihren Eltern. Ich fand das immer irgendwie erbärmlich und die Leute, denen ich im Laufe meiner gut dreißig Lebensjahre begegnet bin und die zu dieser Spezies Mensch gehörten, armselig. Das mag überheblich und arrogant klingen, doch der Grund dafür ist, dass diese Leute mich stets daran erinnerten, dass ich einer von ihnen war. „Dein Vater hat eben nie  gelernt Gefühle zu zeigen“ höre ich meine Mutter heute noch sagen. Ein ums andere Mal. Aber was sollte das heißen? Was wollte sie mir damit sagen? Und überhaupt: Ganz recht hatte sie damit nicht, denn wenn mein Vater wütend war, zeigte er das sehr deutlich. Und das nicht gerade subtil. Was aber hat das damit zu tun, dass mich seit dem Ende der Pubertät eine Freundin nach der anderen verlässt und ich heute, Mitte dreißig, kurz vor der Scheidung stehe?

Zugegeben, ich werde schneller, öfter und heftiger sauer als andere Menschen. Das will ich gar nicht abstreiten. Erst kürzlich habe ich vor Wut ein Loch in unsere Küchenwand getreten. Nach dem Loch in unserer Schlafzimmerwand das zweite. Ach ja, als etwa Zwanzigjähriger habe ich einmal aus verzweifelter Wut, ich weiß nicht mehr, worum es damals ging, die Tür meines früheren Kinderzimmers, in abgeschlossenen Zustand so heftig „geöffnet“, dass der halbe Türrahmen an der Stelle, wo der Schließmechanismus sitzt, zerbarst. Außerdem behandle ich mein Gegenüber oft geringschätzig, so als sei er oder sie ein Idiot. Das in Kombination mit einer gehörigen Portion Klugscheißerei und der festen Überzeugung, ich sei der Beste in allem. Unangenehm, oder? Das Merkwürdige ist jedoch, dass ich nur Menschen die mir am Herzen liegen konsequent wie Dreck behandle. Bei Bekannten, Arbeitskollegen etc. gelingt es mir weitestgehend das Bild eines freundlichen, geduldigen Menschen aufrecht zu erhalten. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich finde mich selbst durchaus sympathisch. Ich würde mir sogar das, was man gemeinhin als eine „gewinnende Art“ bezeichnet, zuschreiben. Selten habe ich den Eindruck, dass mich Menschen unangenehm finden. Und meistens verwende ich viel Energie darauf zu vermeiden, dass die Menschen, die wiederum ich unangenehm finde, davon Wind bekommen. Meistens. Daher und vermutlich auch aus einem bunten Strauß anderer Gründe waren sich meine Ex-Freundinnen, sowohl die, die mich verlassen hatten als auch die, bei denen ich die Trennungsinitiative ergriff (mindestens eine wird es wohl gegeben haben), sowie meine angehende Ex-Ehefrau einig: Ich war ein Arschloch. Manchmal sogar ein selbstherrliches. Soweit so „gut“.

Um jedoch nicht allein meinen Lebensabschnittsgefährtinnen, sondern auch mir selbst Gerechtigkeit widerfahren zu lassen muss ich folgendermaßen konstatieren: Ich bin ein selbstherrliches Arschloch. Aber nicht konsequent. Und um weiter für etwas Verständnis zu werben: Auch im artenreichen Universum der Arschlöcher gibt es Evolution. Wirft man einen Blick auf die Parentalgeneration, so wird deutlich, dass sich das Arschlochgen zwar vererbt, es jedoch mit jedem Generationenwechsel an Macht einbüßt. Manche Leute tragen es sogar in sich, und trotzdem dauert es Jahrzehnte, bis die „Krankheit“ ausbricht. So wie bei Aids. Nur dass bei letzterem mittlerweile die Möglichkeit auf Heilung besteht. Hatte ich jedenfalls mal irgendwo gelesen. Das ist bei mir leider nicht der Fall. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Einige hundert Mal. Mit dem Ergebnis, dass ich nun mehr oder weniger mit heruntergelassenen Hosen dastand. Oder mit zu kurzem Hemd, wie meine Großmutter manchmal sagt.

Doch worauf will ich eigentlich hinaus? Bin ich, wenn schon nicht Herr im eigenen Haus, nicht doch zumindest meines eigenen Unglückes Schmied? Vermutlich schon, doch ich möchte meinen, dass ich mit nem ganzen Arsch voll miesem Karma in diese Welt gestartet bin. Ja genau, negatives Karma oder warum nicht gleich die Erbsünde herbeizitieren?! Oft muss ich an einen Spruch denken, den ich während meiner Jugend im Pott das ein oder andere Mal gehört habe: “Gib dem Kind kein‘ Fisch! Jetz hattet Schuppen.“ Das muss jetzt einfach mal so stehen bleiben dürfen.

Am morgigen Samstag werde ich jedenfalls fünfunddreißig. Und ich sehe mich gezwungen nach einer Antwort auf die eine Frage zu suchen, die sich mir immer dringender stellt, und für deren Beantwortung die Lebensmitte vielleicht nicht der schlechteste Zeitpunkt ist, nämlich, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Doch um ehrlich zu sein, ich habe eine Heidenangst davor der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.

Vergebliche Liebesmüh

Als ich G kennenlernte war sie die Mitbewohnerin von D. Einem Typen mit dem ich mal ne Zeit lang befreundet war. Nun, aus der Distanz betrachtet, war es eher sowas wie ne Zweckehe statt einer Freundschaft. Ich war neu in der Stadt, und er war der Freund von nem Mädel, das ich im Urlaub kennengelernt hatte. Keine Ahnung, was aus den beiden geworden ist. Weder zu ihr noch zu ihm habe ich heute noch Kontakt. Wie dem auch sei, ich war neu hergezogen, hatte keinen Plan und eine Freundschaft bot sich an. Gemeinsame Interessen gab’s wenige, und so trafen wir uns nur gelegentlich auf nen Kaffee und plauderten bis auf wenige Ausnahmen über oberflächliches Zeug: Videospiele, amerikanische Fernsehserien sowas eben. Abends tranken wir ab und an ein Bier zusammen. Das war’s im Großen und Ganzen. Trotzdem, und da mache ich mir nichts vor, war D der Mensch, der mir in meiner neuen Heimat über Jahre am nächsten stand, und ich bin mir sicher, dass er für mich da gewesen wäre, wäre es hart auf hart gekommen. Entzweit haben wir uns schließlich wegen ein paar Euro. Anfänglich jedenfalls. Später ging’s nur noch ums Prinzip (keine Ahnung um welches genau), und der Kontakt brach endgültig ab. Man kennt sowas. Manchmal frage ich mich, ob D sich manchmal fragt, was wohl aus mir geworden ist. Oder ob D sich manchmal fragt, ob ich mich manchmal frage, was wohl aus ihm geworden ist. Aber dafür war er irgendwie nicht der Typ. Wahrscheinlich zog er einfach weiter sein Ding durch (davon sprach er oft) ohne jemals zurückzublicken.

Tatsächlich aber denke ich von Zeit zu Zeit an D. Schließlich verdankte ich ihm, dass ich G kennenlernte. Und so kommen die Erinnerungen meist im Doppelpack. Erinnere ich mich an G muss ich ebenfalls an D denken und umgekehrt. G kam aus irgendeiner ehemaligen Sowjetrepublik, und ich weiß noch, wie ich mir damals von einem Kommilitonen, einem total durchgeknallten Ukrainer, der immer davon sprach, dass wir unbedingt mal in den Semesterferien zusammen auf die Krim fahren müssten, folgenden Satz übersetzen ließ „U tebja jest pjat minut? “ – „Hast Du fünf Minuten Zeit? “ oder so ähnlich, um auf einer Party ein Gespräch mit ihr anzufangen. Total bescheuert, ich weiß. Netterweise sah sie jedoch über meinen peinlichen Auftritt hinweg und gab mir statt nem Korb ihre Telefonnummer samt Erlaubnis, sie am Wochenende spät abends, vorher jobbte sie in der Küche irgendeines Restaurants, anzurufen. Ich erinnere mich weder ansatzweise, worüber wir damals sprachen noch habe ich die leiseste Ahnung worüber ich heute mit einer Frau, die ich überhaupt nicht kannte, am Telefon sprechen würde. Ohnehin lief es nur darauf hinaus, sie für das kommende Wochenende zum Essen einzuladen.

Das Ganze spielte sich übrigens ab kurz nachdem meine Freundin J mich nach etwa einem Jahr Beziehung mit der simplen wie einleuchtenden Begründung, ich sei ein Arschloch, verlassen hatte. Ob diese Aussage lediglich von ihren subjektiven Empfindungen herrührte oder auf objektiven Beobachtungen fußte, kann ich selbst mit einigem zeitlichen Abstand nicht sagen. Einräumen muss ich jedoch, dass mir lange Zeit nicht bewusst war, dass ich während unserer Beziehung lediglich meinen Egoismus bediente, wenn ich mich für etwas entschuldigte, damit ich mich im Nachhinein besser fühlte. Das war und ist noch immer meine Methode, mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Ich gebe einen Fehler frühzeitig zu und entschuldige mich möglichst glaubwürdig. Wird mir dann nicht binnen fünf Minuten vergeben, drehe ich den Spieß kurzerhand um und bin meinerseits wütend, beleidigt oder, wenn es gut für mich läuft, von meiner Partnerin „enttäuscht“. Schließlich hatte ich alles mir mögliche getan um die ursprüngliche harmonische Atmosphäre wiederherzustellen. Gute zehn Jahre sollte es dauern, ehe ich begriff, dass es Dinge gab, die tausend Entschuldigungen nicht würden ungeschehen machen können. Doch ich schweife ab.

Jedenfalls war ich mir von Anfang an ziemlich sicher, dass G mit mir ausgehen würde. Warum hätte sie mir sonst ihre Telefonnummer geben sollen? Und so war ich trotz anfänglicher Nervosität relativ relaxt, da siegesgewiss, als ich sie schließlich anrief. Es dauerte eine ganze Weile bis sie ran ging, und ich malte mir aus, wie sie just in dem Moment lediglich mit einem weißen Badetuch bekleidet aus der Duschkabine stieg, sich dabei mit einem zweiten, kleineren Handtuch das nasse, lange Haar frottierte, um es dann kunstvoll zu einem Turban zu wickeln, bevor sie sich zum Telefon hinunter beugte, um den Hörer abzunehmen. Man kennt das aus Filmen. Dabei störte es mich nicht im Geringsten, dass ich genau wusste, dass es in ihrem Wohnheim gar keine Duschkabine, sondern nur ein altmodisches Wannenbad gab und dass ihre Haare lediglich schulterlang waren. Vielleicht hatte sie auch einfach nur auf der Toilette gesessen oder wollte nicht zu schnell ans Telefon gehen, damit es nicht so aussah als hätte sie auf meinen Anruf gewartet. Ich darf daran erinnern, dass wir beide um die zwanzig waren. Da macht man sich noch Gedanken über sowas.

Nachdem wir etwa eine Stunde miteinander telefoniert hatten verabredeten wir uns für den darauffolgenden Freitag, so dass mir eine ganze Woche blieb, mich darüber zu ärgern, dass die Zeit so verdammt langsam verging. 168 Stunden bzw. 1440 Minuten. Dabei hatte ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens selbst mehr als genug zu tun. Ich war gerade im zweiten Semester Geschichte und hatte neben einem integrierten Proseminar, das einen ganzen Arsch voll Arbeit mit sich brachte, Seminare über die Etrusker und die Geschichte des Osmanischen Reichs belegt. Außerdem hatte ich mir vorgenommen, mein Schullatein aufzupolieren, damit es mir später leichter fiel, Tacitus und Konsorten im Original zu lesen. Was für eine Schnapsidee. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich das Geschichtsstudium mit Abschluss der Zwischenprüfung an den Nagel hängen würde, um etwas vollkommen anderes zu machen. Damals ging sowas noch, denn es gab weder Studiengebühren noch Credit Points und mit Bologna verband man lediglich eine der beiden Saucenoptionen an der Nudeltheke der Mensa. Man machte seine Scheine und studierte entweder auf Diplom oder Magister. Vor allem aber was und solange man wollte. Warum sich also nicht auch ein halbes Jahr mit Haruspizes und Janitscharen beschäftigen?

G wiederum studierte Publizistik oder irgendeines dieser Fächer nach deren Nennung einem absolut kein Kommentar einfallen will. Wenn einer sowas wie Philosophie oder Arabistik machte, dann konnte man sich wenigstens mit der dämlichen Frage „Und was macht man damit später so?“ bis zum nächsten Thema über Wasser halten. Doch was zur Hölle konnte man bei Publizistik anderes als „Ah. Cool.“ sagen? Manchmal hörte man auch Leute sowas wie „Ich wollte schon immer irgendwas im Bereich Medien machen“ sagen. Aha. Bis heute frage ich mich, was das bedeuten soll. Doch ich schweife erneut ab. G studierte jedenfalls mit ziemlicher Sicherheit Publizistik und war bereit mit mir auszugehen. Das fand ich irgendwie sensationell. Wie gesagt, meine Freundin J, die, nebenbei gesagt, auch meine erste war, hatte mich unmittelbar zuvor verlassen, so dass mein Selbstvertrauen gen Null tendierte. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund war G’s Erlaubnis, um sie zu werben, so etwas wie eine Offenbarung.

Erst kürzlich hatte mich meine Frau gefragt, ob ich an die Existenz von Parallelwelten glaubte. Und obwohl ich nicht die leiseste Ahnung von und auch keine Meinung zu diesem Thema hatte, entschied ich spontan und Kraft eigener Herrlichkeit, dass Parallelwelten Unfug seien und verneinte ihre Frage. Auf meine Rückfrage, wie sie ausgerechnet jetzt darauf komme, antwortete sie mir, dass sie sich manchmal fragte, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie statt ihres jetzigen Berufes etwas ganz anderes gelernt hätte. Da ich weder Dichter noch Denker bin, finde ich es grundsätzlich müßig mich auf hypothetische Fragen einzulassen, und da ich mit meiner Eigenschaft, in bestimmten Situationen das Denken schlicht zu verweigern, bisher immer einigermaßen gut gefahren bin, tat ich es auch dieses Mal, so dass ihre Frage samt des mit ihr einhergehenden philosophischen Diskussionspotenzials sowie der Chance, meiner Frau in einem tiefsinnigen Gespräch ein Stück näher zu kommen, verpuffte. Doch entgegen meiner Gewohnheit ertappe auch ich mich hin und wieder in Gedanken bei der Frage „Was wäre, wenn?“

Die Frauen, die ich zwischen meinem zehnten Lebensjahr und dem heutigen Tag begehrte, sowohl die, mit denen ich zusammen war als auch die, die mich abblitzen ließen, bzw. die, denen ich mich niemals traute zu sagen, dass ich sie „gut fand“, lassen sich gut und gerne an zwei Händen abzählen. Dennoch nimmt G unter ihnen, obwohl es bei besagtem einen Date bleiben sollte, einen besonderen Platz ein. Sie hatte irgendwie etwas, das mich magisch anzog. Dabei war sie alles andere als mein Typ, wobei ich eigentlich, wenn ich genauer darüber nachdenke, gar keinen Typ habe. Vielleicht sollte ich eher sagen, dass sie ganz anders aussah als die Frauen, für die ich mich bisher interessiert hatte. Würde ich sagen, dass sie ganz anders aussah als die Frauen, mit denen ich bisher zusammen war, dann würde ich ebenfalls nicht die Unwahrheit sagen, doch hatte ich (wie gesagt) bis zu diesem Zeitpunkt lediglich eine einzige Freundin, so dass diese Aussage kaum von Bedeutung wäre. Zwischen meinem Date mit G und der Hochzeit mit meiner Frau gab es längere und kürzere Beziehungen. Manche davon schienen ernst und andere davon waren es sogar. Die Frage „Was wäre wenn?“ nötigt mir Respekt ab. Macht mich unsicher, ja ängstigt mich sogar. Sie zwingt mich, über das Hier und Jetzt nachzudenken. Entscheidungen in Frage zu stellen. Besonders konsequent und äußerst effektiv verdränge ich diese Frage in Zeiten, in denen zwischenmenschlich nicht alles wie erwünscht verläuft. Denn was würde passieren, wenn man, in der Mitte des Lebens angekommen, verheiratet und bekindet, das volle Programm halt, zu dem Schluss käme, dass man an irgendeiner Kreuzung des Lebens die falsche Abzweigung genommen hat? Es keinen Weg zurück gibt? Jedenfalls keinen einfachen. Dann wäre man dazu gezwungen sich weiteren Fragen philosophischer Natur zu stellen. Wie viel Verantwortung trage ich anderen Menschen gegenüber? Was bin ich mir selbst schuldig? Es ist eine ebenso abgedroschene wie zwingende Wahrheit, dass man schlicht nur ein Leben hat. Versaut man‘s hat man Pech gehabt und findet sich letztlich in der Zwangsjacke des oben genannten Konjunktivs wieder. „Was wäre wenn?“. Ich kenne Menschen, die trotz ihrer Jugend an dieser Frage zerbrochen sind. Doch das gehört nicht hierher. Jedenfalls nicht jetzt.

Warum aus G und mir letztlich nichts wurde? Die Antwort ist gleichermaßen simpel wie dämlich. Nachdem ich im Anschluss an eine Uni-Party mit G’s Zimmernachbarin in der Kiste gelandet war – hier muss man sich die Frage stellen, wie blöd einer alleine eigentlich sein kann? –, hatte sich die Sache selbstverständlich erledigt. Danach traf ich G nur noch ein oder zweimal. Es war wirklich grotesk. Einmal besuchte ich mit meiner neuen Freundin, mit der ich relativ unmittelbar nach der ganzen Chose zusammengekommen war, meinen Freund K im Studentenwohnheim, nur um die Etagenbewohner, G und ihre Nachbarin, die ich leider nicht einmal besonders sympathisch fand, eingeschlossen, in ein amüsiertes Gespräch auf dem Flur anzutreffen. Ich schwitzte Blut und Wasser, stellte meine neue Freundin vor und sah zu, dass wir den Flur schnellstmöglich hinter uns ließen. Ob G je Wind von der Geschichte mit ihrer Nachbarin bekommen hat weiß ich nicht, und was würde es schon ändern. Zumindest aber wird es sie gewundert haben, dass ich, während wir eigentlich dabei gewesen waren einander näher zu kommen, so mir nichts dir nichts plötzlich eine neue Freundin anschleppte. Vielleicht war es ihr aber auch einfach scheißegal, da sie mir bereits nach unserem ersten Date auf die Schliche gekommen war und mich als das entlarvt hatte, was ich laut Meinung der meisten Frauen, die mich näher kennenlernten, war und was seit meiner Ex-Freundin J vielleicht niemand je treffender auf den Punkt gebracht hatte. Allerdings war im Laufe der Jahre häufig noch das Adjektiv selbstherrlich dazugekommen. Natürlich verlief das erste Jahr einer jeden Beziehung stets relativ harmonisch. Aber was soll ich sagen? Erste Jahre sind immer etwas Besonderes. Erst von da an geht’s bergab. Egal mit wem. Die Frage ist nur, ob bzw. wie gut man sich mit dieser unromantischen Wahrheit arrangieren kann. Doch diese Erkenntnis traf mich damals wie der sprichwörtliche Blitz beim Kacken. Ich fühlte, dass ich eine wichtige Lektion fürs Leben gelernt hatte. Etwas, das einem kein Vater beibringen konnte, sondern das man am eigenen Leib erfahren musste, um es zu verstehen. Seither empfand ich zwischenmenschliche Beziehungen, insbesondere solche zwischen den Geschlechtern, eine ganze Zeit lang als ausgesprochen lästig und versuchte in ihnen stets so wenig wie möglich einzubringen bzw. in sie zu investieren und verlegte mich stattdessen eher aufs Zuhören. Wenn ohnehin nichts für die Ewigkeit war, es kein „Bis das der Tod Euch scheidet“ gab, dann konnte man sich den Atem für das ganze Blabla schließlich gleich sparen. Wenn ich damals mit Leuten über meine Einstellung sprach, dann war stets die Rede davon, ich sei desillusioniert oder habe die Richtige eben noch nicht gefunden. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, mittlerweile ist so viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen, dass ich gar nicht mehr so genau weiß, was ich eigentlich glaube. Wo ich im Leben stehe. Was ich jedoch meine über mich selbst herausgefunden zu haben ist, dass man sich nach Möglichkeit selbst irgendwie gut finden sollte. Wenn man letztlich doch immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen wird, dann ist es praktisch, wenn man mit sich selbst gut auskommt. Und obwohl ich mir die größte Mühe gebe die Frage nach dem „Was wäre wenn?“ zu verdrängen, so gräbt sie sich doch ab und an, ich habe nicht die leiseste Ahnung woher sie die Kraft oder die Motivation dazu nimmt, von irgendwo in der Tiefe meines Inneren bis ans Tageslicht meines Bewusstseins.

In der Schule hatte ich mal einen Deutschlehrer, den zwar keiner besonders mochte, da er, selbst objektiv betrachtet, nicht alle Latten am Zaun hatte, der jedoch beizeiten einen Spruch brachte, der mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist. „Hätt‘ der Hund nicht geschissen, hätt‘ er den Hasen gefangen“. Betrachtet man diese Binsenweisheit einmal vor dem Hintergrund meiner niemals zustande gekommenen Beziehung zu G, so habe ich damals quasi unmittelbar vor der Tür ihrer Nachbarin einen riesigen Haufen gemacht, um danach in eine komplett andere Richtung weiter zu jagen. „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“, lautet eine weitere Binsenweisheit, und wenn ich auch gewöhnlich nichts auf derartige Sprüche gebe, so kann ich doch nicht umhin, beiden ein gewisses Maß an Treffsicherheit in Bezug auf mein eigenes Leben einzuräumen.

Doch ob ich nun an die Existenz von Paralleluniversen, an eine unendliche Anzahl von Welten mit identischen Ichs und Sies, die sich alle jeweils nur durch eine einzige anders gefällte Entscheidung voneinander unterscheiden, sei es nun die Arbeit oder der Partner fürs Leben, glaubte oder nicht. Fakt war, dass meine Ehe am Ende war und meine Frau in Kürze die Scheidung einreichen würde. Ich hatte es versaut. Einmal mehr. Und der Grund, wen mochte es überraschen, war immer noch derselbe wie vor vielen Jahren. Dabei spielt für mich die Frage, ob Menschen sich ändern können oder nicht, mittlerweile keine Rolle mehr. Schließlich habe ich mich stets redlich darum bemüht, mich gemäß den Wünschen meiner Lebensabschnittsgefährtinnen (ich liebe dieses Wort) zu beugen, ohne dabei den guten Draht zum eigenen Ich zu verlieren. Mehr war einfach nicht drin gewesen. Ich hatte mein Möglichstes versucht. Ob es also eine Parallelwelt gab in der ich nett, verständnisvoll, interessiert oder sogar ein guter Zuhörer war oder zumindest über das Potenzial verfügte ein solcher zu werden, interessierte mich nicht die Bohne. Denn solange ich nicht den Dreh heraus hatte, wie es mir gelang zwischen den einzelnen Welten hin und her zu springen, war das ganze Gerede darum nicht mehr als eine Atemübung. Was mich jedoch, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, beizeiten umtreibt, ist die Frage, ob G manchmal an mich dachte oder die ganze Farce bereits vergessen hatte. Ob sie sich ebenfalls fragte, was gewesen wäre wenn. Doch wie gesagt, es kostet Kraft, sich selbst einzugestehen, dass man’s versaut hat. Das der Vorhang ein für allemal gefallen ist. Man weder vor noch zurück kann. Selbst dann nicht, wenn man wollte.

Der Tod meines Freundes

Der Tod meines Freundes

 

Als sein Vater mir schrieb, dass er sich umgebracht hätte, traf mich das unerwartet und hart. Zwar hatte es durchaus verschiedene Anzeichen gegeben, die sich aus der Retrospektive als Warnungen interpretieren ließen, doch vermutlich wollte ich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht wahrhaben, wie schlecht es meinem Freund wirklich ging. Ich wollte die Verantwortung von mir fortschieben und entschied mich bewusst dafür, nicht für ihn da zu sein als er einen Freund gebraucht hätte. Ich starrte auf meinen Monitor. Für einen Augenblick blieb die Erde stehen. Und als sie sich wieder zu drehen begann, hatte ich den Eindruck, sie eiere. Jedenfalls in meinem Universum. Etwas hatte sich verändert. ICH hatte mich verändert. Durch den Tod meines Freundes, für den ich mich mitverantwortlich machte und immer noch mache, war ich ein anderer Mensch geworden. Bei dem Versuch zu begreifen, was mir sein Vater mitteilte, was es bedeutete, dass mein Freund jetzt nicht mehr da war, dass ich ihn nie wieder sehen würde, nie mehr mit ihm sprechen konnte, merkte ich, wie ich an meine seelischen Grenzen stieß. Mein Leben geriet aus den Fugen.

Nie werde ich diesen Augenblick vergessen. Ich hatte seit einer Weile nichts mehr von meinem Freund gehört, war deshalb aber auch nicht weiter beunruhigt. Ich selbst gehörte nicht gerade zu denjenigen, die allzu schnell auf E-Mails antworteten. Hinzu kam, dass ich gerade mitten in der Endphase meiner Magisterarbeit steckte. Eigentlich war ich sogar über jede Nachricht froh, die man mir nicht schickte, denn so blieb ich von dem Zwang zu antworten befreit. Ping. Das akustische Signal meiner Mailsoftware wies mich darauf hin, dass eine Nachricht eingegangen war. Ich warf einen Blick in den Posteingang und sah, dass sie von meinem Freund stammte. Ich war alles andere als aufgeregt, vielmehr erschöpft, abgekämpft und, um bei der Wahrheit zu bleiben, auch ein wenig genervt. Denn nun würde ich tatsächlich eine Antwort schreiben müssen.

Bis ich merkte, dass die Nachricht gar nicht von meinem Freund, sondern von dessen Vater kam, vergingen nur wenige Sekunden. Während ich die Nachricht las wurde mir ganz heiß und ich begann zu schwitzen. Als mein Gehirn ihren Inhalt schließlich vollständig erfasst hatte, explodierte alles in mir und ich begann laut zu schluchzen und Rotz und Wasser zu heulen während ich mich wie unter Krämpfen wand. Ich schaffte es eine ganze Weile nicht, mich zu beruhigen, steigerte mich im Gegenteil immer mehr in dieses Gefühl hinein. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass dies das Schlimmste war, das mir in meinem Leben je wiederfahren war. Das war im Oktober 2006.

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich niemals mit dem Thema Tod konfrontiert worden. Diese erste Begegnung kam umso wuchtiger daher, als das mein Freund erst Ende zwanzig gewesen war. Heute, wo ich selbst Vater eines Sohnes bin, stelle ich mir oft vor, wie es sein muss, diesen erhängt in seinem Zimmer aufzufinden, ihn loszumachen und dabei zu realisieren, dass man ihn nie wieder zurück bekommt. Der Gedanke allein ist für mich derart schmerzhaft, dass ich, während ich diese Zeilen schreibe, am liebsten losschreien möchte. Irgendetwas in meinem Inneren schnürt sich zu, raubt mir die Luft zum Atmen. Es fühlt sich an, als käme einfach immer weniger Luft in meinem Gehirn an, so dass mein Gesicht rot anläuft und ich nur durch einen lauten gequälten Aufschrei verhindern kann, dass mir der Schädel platzt.

Seit dem Erhalt der Nachricht vom Vater meines Freundes sind mittlerweile gut zehn Jahre vergangen. Zehn Jahre, in denen ich es lediglich ein einziges Mal geschafft habe dessen Grab zu besuchen. Der Gedanke, dabei auch seiner Familie, die in Friedhofsnähe wohnt, einen Höflichkeitsbesuch abstatten zu müssen, mit ihnen gemeinsam am Esstisch, wo wir früher mit meinem Freund, dessen älterem Bruder und seiner Schwester gemeinsam gesessen haben, zu sitzen und aus meinem Leben zu erzählen, machte mich schier wahnsinnig. Es musste ihnen zwangsläufig vergegenwärtigen, wie das Leben ihres Sohnes hätte aussehen können, hätte er sich damals dazu entschieden zu leben.

Seit besagtem Tag im Oktober 2006 sind nicht viele Tage vergangen an denen ich nicht an meinen Freund gedacht, nicht die Last der selbstattestierten Mitschuld an dessen Selbstmord auf meinen Schultern gespürt hätte. Wäre ich in dessen sprichwörtlich dunkelster Stunde für ihn da gewesen, hätte ihn zufällig angerufen oder ihm eine aufmunternde E-Mail geschrieben, just in dem Augenblick, in dem er sich dazu entschied auf den Stuhl zu steigen, ich hätte alles verhindern können. Niemand kann mich von dieser Verantwortung freisprechen. Niemand sagen, dass ich es nicht hätte verhindern können. Zwar ist mir bewusst, dass ich aktiv keine Schuld an seinem finalen Unheil trage, aber muss ich mich nicht selbst dafür anklagen, dass ich ihm nicht Freund genug gewesen bin, dass allein meine Existenz ihm Anreiz genug zum Weiterleben war? Was für ein narzisstischer Gedanke. Es will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Man erhängt sich doch nicht so von einem auf den anderen Augenblick. Man benötigt ein Seil und eine Stelle an der Decke, an der man es befestigen kann. Außerdem muss man wissen, wie man eine Schlinge richtig bindet, damit diese sich auch zuzieht und man sich nicht in einem Anflug von Panik wieder versucht kurz vor dem Ende selbst zu befreien. Ich weiß nur sehr wenig über die praktische Vorgehensweise beim Selbstmord durch Erhängen, doch mir scheint, dass diese Todesart einiges an Vorbereitung erfordert. Mein Freund hatte sich nicht in einer Art Kurzschlusshandlung gegen das Leben entschieden, sondern hatte sich gut vorbereitet. Solange ich ihn kannte war er immer jemand gewesen, der ausgezeichnet auf alles vorbereitet war. Er hatte sich die Sache gut überlegt und war letztlich zu der Entscheidung gelangt, dass es sich nicht lohnte weiterzuleben. Grundsätzlich kann ich den Entschluss zwar nachvollziehen, doch der Verlust schmerzt zu sehr, als dass ich auf diese neutrale Ebene gelangen könnte, um über die Sache nachzudenken. Vermutlich haben sich viele Menschen schon einmal so einsam und verlassen gefühlt, sich an einem Punkt wiedergefunden an dem es absolut keinen Ausweg mehr zu geben schien. Doch dann bemerkten sie, nachdem sie einmal darüber geschlafen hatten, dass die Welt am nächsten Tag schon wieder, wenn auch nicht in gleißendes Sonnenlicht getaucht war, so doch zumindest ein klein wenig freundlicher aussah. Die Vorstellung, nicht mehr existieren zu wollen, ist auch mir nicht total fremd, aber das Ganze war bisher nie mehr als nur ein theoretisches Spiel meiner trauernden Gedanken. Letzten Endes kam ich bisher immer zu dem Ergebnis, dass alles schon wieder irgendwie wird. In Ordnung kommt. Die guten Dinge im Leben überwiegen. Sich die Plackerei lohnt.

In den kurzen fünf Jahren, die wir uns kannten, hatten wir viel gemeinsam unternommen. Wir waren zusammen gereist, mit Flugzeug, Bus und Bahn. Hatten gemeinsam den Fuji bestiegen, zusammen geschwitzt und zusammen gefroren. Waren vor Erschöpfung im Imbiss eingeschlafen und um fünf in der Früh gemeinsam in der heißen Badewanne eines Familienbades in Sapporo gelandet. Was sollten wir auch anderes tun? Als der Nachtbus uns im eiskalten Februar dort rausgeworfen hatte, hatte schlicht nichts anderes geöffnet. Wir hatten noch so viele gemeinsame Pläne. Wir trafen uns so regelmäßig wie möglich. Mal in Tokyo, mal in Berlin. Es lag noch so viel vor uns.

Die schönen Erinnerungen sind für mich derart schmerzhaft, dass ich nicht verstehen kann, warum ich es mir antue, sie aufzuschreiben. Ich weiß, dass sich ein kathartischer Effekt nicht einstellen wird. Auch weiß ich, dass die Psychoanalyse mich von jeglicher Verantwortung für den Tod meines Freundes freispricht. Er hatte sich schließlich selbst dazu entschlossen, und es gab nichts, was ich hätte tun können. Wenn ein Mensch sich dazu entscheidet sich das Leben zu nehmen, dann ist es anscheinend nur selten möglich, ihn davon abzuhalten. Doch was nützt mir das? Einen Scheiß. Jedes Mal, wenn ich an ihn denke spüre ich mein Joch nur umso stärker. Vielleicht will ich mich ja rechtfertigen? Meine Sicht der Dinge darlegen, mich erklären? Um Verständnis für meine Situation werben? Absolution? Das Ganze muss doch zu irgendetwas gut sein? Und warum klingt das Ganze nun so, als sei ich der Leidtragende? Schließlich bin ich derjenige von uns beiden der lebt und dem es gut geht. Ich weiß es nicht. Am nächsten kommt der Wahrheit vermutlich die Erklärung, dass ich gegen die Trauer anzuschreiben versuche. Gegen das Gefühl, das mir die Tränen in die Augen zwingen will, nun da ich hier, gar nicht so weit vom Geburts- bzw. Sterbeort meines Freundes entfernt, im 24 Stunden Restaurant sitze und schreibe. Ich denke an ihn, seine Familie und dennoch tritt deren Trauer vor meiner eigenen in den Hintergrund. Dabei schäme ich mich gleichzeitig für diesen Egoismus.

Am Ende bleibt die Frage, was bleibt. Was bleibt nach fünf Jahren Freundschaft außer einem zerlesenen Band von Haruki Murakami, den mein Freund mir einmal aus seiner Sammlung vermacht sowie einer Sanduhr, die er mir von einer seiner letzten Reisen mitgebracht hatte und die mir sein Vater nach dessen Tod überreichte, und einem Haufen Schuldgefühlen? Gibt es eine Moral der Geschichte? Sollte es eine geben? Ich weiß es nicht. Es heißt, die Zeit heile alle Wunden. Vielleicht ist die Moral der Geschichte ja, dass dieses Sprichwort nicht für alle Menschen gilt. Vielleicht reichen auch acht Jahre Trauer nicht aus, den Schmerz über den Verlust eines Freundes zu vergessen. Ein Schlaukopf aus meinem Bekanntenkreis hatte mir einmal gesagt, dass es die halbe Zeit der Zeitspanne, die man mit einer Frau zusammen war, brauche, um über die Trennung hinwegzukommen. Diese Regel hat jedoch bei mir bisher niemals funktioniert. Manchmal ging es schneller, manchmal dauerte es länger und manchmal, so wie im Falle meines Freundes, mit dem ich zugegebenermaßen keine Liebesbeziehung hatte, schien es nie zu enden. Aber vielleicht ist ja dieser Schmerz auch meine persönliche, emotionale Art, mich zu erinnern. Es ist die Endgültigkeit, die mir bei der Sache zu schaffen macht. Bei den Damen, die mir in meinem Leben den Laufpass gegeben hatten wusste ich, dass sie weiter existierten. Für einen kurzen Zeitraum danach konnte ich hoffen, dass sich alles wieder einrenken würde und danach schaffte ich es meist, mich mit der neuen Situation abzufinden, mich zu arrangieren und neu zu verlieben. Im Falle meines Freundes ist das anders. Ich kann nicht einfach das Kapitel als beendet erklären und mir einen neuen Freund suchen. Bis heute nicht.